Disengagement

Ausgangslage

Aktuell werden in der Schweiz rund bekannte 100 Personen als Gefährder und Gefährderinnen eingestuft. Diese sind vernetzt in rechten, linken, dschihadistischen oder anderen Extremismusnetzwerken.  Es gibt zudem eine wachsene Zahl gewaltbereite Sportfans (Fussball) sowie Anhänger*innen von Ökoterror (z.B.gewaltbereite Tierschützer). Die potenzielle Gefahr für die Bevölkerung wird laufend neu bewertet. Einige dieser gewaltbereiten Personen sind im Justizvollzug oder es sind ihnen andere Massnahmen auferlegt; sie sind im Radar der polizeilichen Ermittlungen oder stehen unter Beobachtung.

Im Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP) ist neben der Präventionsarbeit ein Bedarf von Aussteigerangeboten von Menschen mit extremistischem Verhalten, das sogenannte das Disengagement, identifiziert (Handlungsfeld 4.4, Massnahme 21).

Menschen, die dem gewalttägigen Extremismus zugewand sind, zeichnen sich durch eine Abwehr und Abkehr des demokratischen Grundverständnisses aus und distanzieren sich aktiv von der Teilhabe an der Gesellschaft. Sie fühlen sich vielfach diskriminiert und ausgegrenzt, sind desillusioniert und erleben keine Chancengleichheit. Der Weg in die Radikalisierung führt oft über Mobbing oder Ausgrenzungserfahrung, Frustration über die Ungerechtigkeit im Umgang mit Ausbildungsplätzen und Lehrstellenangebote. Dies gilt insbesondere für Menschen mit einem Migrationshintergrund.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich hier um nicht gelungene Integration geht- was wiederum die eigene Suche nach Zugehörigkeit, Identität und Selbstermächtigung in Religion und “offenen” alternativen Gemeinschaften (zum Beispiel extremistischen Gruppierungen) vorantreibt. Die Bedürfnisse der Zielgruppen wäre somit das (Wieder-) Erlangen einer Chancengleichheit, die Überwindung von Mobbingerfahrungen, den Einstieg ins Erwerbsleben zur Sicherung der eigenen Existenz.

Gewaltbereiten Personen sollen Angebote zur Verfügung stehen um aus der Gewaltspirale auszusteigen und sich zu entradikalisieren. Solche Angebote müssen entwicklet und umgesetzt werden um möglichst niederschwellig die Zielgruppen sowie deren familiäres Umfeld, wie auch Personen aus dem professionelles Betreuungsangebotes erreichen zu können. Die Angebote müssen sich an verschiedene Personen, Gruppen sowie an unterschiedliche Settings richten. Erfahrungen mit Disengagement Angeboten aus anderen Ländern wurden wissenschaftlich ausgewertet und Empfehlungen erarbeitet. Zentral Ansatz ist dabei die Schulung und Bereitstellung von Mentoren und Mentorinnen, die Aussteigewillige, Strafgefange und deren Bezugsgruppen begleiten und unterstützen, in dem sie einerseits weitere Fachpersonen vermitteln können, andererseits sie duch den Prozess der Deradikalisierung hindurch führen.

Schlussfolgerung

Es braucht ein Mentorenprogramm für Extremisten und potenziellen Extremisten welches in einem Umfeld mit mehreren Behörden, Fachstellen und Fachpersonen eingebettet  und vernetzt werden muss. Es braucht die interdisziplinäre Vernetzung mit der Polizei, der Staatsanwaltschaft, der Sozialdienste, den Bewährungshelfern, der psychiatrischen Versorgung um eine Risikobewertung durchzuführen und über die beste Vorgehensweise zu entscheiden. Neben den rechtlichen und administrative Auflagen braucht es sogenannte «weiche» Massnahmen wie ideologische, psychologische und soziale Beratung, Familienförderung, praktische Unterstützung bei der Unterbringung und Beschäftigung, Hilfe bei der Unterbrechung des Kontakts mit dem ehemaligen extremistischen Netzwerk, Aufbau einer neuen Identität mit neuen sozialen Kontakten,  einer und notwendiger Veränderungen in schwierigen Familiensituationen u.a. Insbesondere die nachhaltige Umsetzung von “weichen” Massnahmen ist essenziell für die Reintegration von Extremisten und potenziellen Extremisten.

“Um präventiv auf Jugendliche wirken zu können, muss man ihnen real etwas anbieten können, reelle Perspektiven aufzeigen können. Wo es diese ökonomisch und sozial nicht gibt, kann man allefalls „besänftigen“, was nichts an der Grundproblematik ändert und was ich aus pädagogischer Perspektive übrigens auch für grundfalsch halte. Die oftmals sehr berechtigte Wut ernst zu nehmen und gemeinsam ernsthaft konstruktiv die Ursachen zu bekämpfen und gemeinsam für bessere Lebensverhältnisse, auch in einem globalen Sinn, zu streiten, wäre der einzig ehrliche und erfolgversprechende Ansatz”. Zitat Marwa Al-Radwany (aus Berlin ist eine der Initiatorinnen des Netzwerks gegen antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit (NARI))

Die Abwendung von einer affektiv verankerten Selbst- und Weltanschauung stellt eine tiefgreifende persönliche Veränderung dar. Eine direkte, persönliche und nachhaltige Mentor- und Mentorinnen-Beziehung ist unerlässlich. Diese lenkt den Blick von Defiziten auf Ressourcen. Sie hilft Betroffenen dabei, Kompetenzen aufzubauen, um ihr Leben selbsttätig zu meistern, und ihre Selbstwirksamkeit zu stärken. Sie behandelt den Menschen stets als Subjekt, niemals als Objekt. Betroffene werden nicht manipuliert oder „deradikalisiert“, sondern sind immer handelnde Akteure.

Ziele  

Allen deradikalisierenden Arbeitsansätzen liegt die Zielrichtung zu Grunde, dass die Betroffenen das enge Handlungskorsett der Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer Ziele überwinden (Disengagement). In einer erweiterten Zielrichtung wird angestrebt, dass extremistische ideologische Grundmuster überwunden werden und so eine Reintegration in unsere Gesellschaft ermöglicht wird (deradicalisation). Hauptziele sind die Reduktion des Tatbegehungsrisikos und die Wiedereingliederung in demokratische Gesellschaftsprozesse.

Methodik

Die Mentorin, der Mentor legt den Schwerpunkt auf emotionalem und sozialem Lernen, weniger auf kognitivem Lernen. Emotionale Kompetenz und emotionale Intelligenz sind daher von grundlegender Relevanz in diesem Arbeitsfeld. Konflikte, Ambivalenzen, Unsicherheiten, Scham, Furcht, Aggression, Freude, Sinnkrisen, Diskriminierungserfahrungen, geopolitisches Weltgeschehen, Ohnmachtsgefühle, mangelnde Handlungsoptionen und/oder -kompetenz in Bezug auf das Weltgeschehen, den eigenen Alltag, Probleme im Beruf/in der Schule und Konflikte in der Familie, Traumata, Gewalterfahrungen, für Ansichten über und Erfahrungen in Sexualität und Liebe – für all diese Themen muss ein Gesprächs- und Lernraum geöffnet werden. In Ergänzung dazu werden Mentorinnen und Mentoren als Multiplikatoren bei der Sensibilisierung, Schulung und Beratung eingesetzt, um das Erfahrungswissen in der Begleitung von Betroffenen Extremisten weiter zu geben.

Begs arbeitet im Bereich des Disengagement mit ausgewiesenen Experten zusammen.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an begs@posteo.ch